Übermorgen beginnt in NRW ein grüner Kongress, zu dem eine Gruppe Grüner unter dem Titel "Wirtschaftliche Erneuerung" ein Papier zur Wirtschaftsspolitik vorlegt, dass die FR heute auf ihren Dokumentationsseiten druckt. Hier die aus meiner Sicht interessantesten Teile der bereits für die FR stark gekürzten Fassung. Link zur Langfassung am Ende.
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Allerdings muss festgestellt werden, dass angesichts eines Stellenangebotes von nur 500 000 bei gleichzeitig mindestens fünf Millionen Erwerbssuchenden die Arbeitsplatzsuche allein kaum zum Erfolg führen kann. Auch die Globalisierung beschert uns nicht nur die Probleme, die in den Medien so gerne vermittelt werden. Die Bundesrepublik hat einen positiven Leistungsbilanzsaldo von zwei Prozent, das heißt, es werden mehr deutsche Waren im Ausland verkauft, als ausländische Waren aus dem Inland bezogen werden. Zu beachten ist auch, dass Deutschland rund zehn Prozent der Weltexporte bestreitet. Drei Fünftel der Exportgüter stammen aus inländischer Wertschöpfung. Seit 1999 sind die Exporte im Durchschnitt um fast sechs Prozent gewachsen. In Deutschland sind die Arbeits- und die Lohnstückkosten seit Beginn der Europäischen Währungsunion 1999 deutlich geringer gestiegen als im Durchschnitt der Union. Die Differenz liegt nach Daten der Europäischen Zentralbank bei jeweils einem Prozentpunkt im Jahr; die für die gesamtwirtschaftliche Wettbewerbsfähigkeit entscheidenden Lohnstückkosten liegen sogar 1,1 Prozent unter denen der anderen Mitgliedsländern. Deshalb hat die deutsche Volkswirtschaft gegenüber den Partnerländern zusätzliche Wettbewerbsfähigkeit gewonnen. Auch die Zahl ausländischer Direktinvestitionen steigt. Bei der Steuerbelastung liegt Deutschland unter dem Durchschnitt der EU-Länder. Der vielbeschworene Mangel an internationaler Wettbewerbsfähigkeit entbehrt offensichtlich jeglicher Grundlage.
Die Politik der letzten Jahre in Deutschland war einseitig darauf bedacht, die Angebotsseite zu stärken. Dass auch die gesamtwirtschaftliche Nachfrage eine wichtige Bedeutung für die Konjunktur besitzt, wurde totgeschwiegen. Angesichts der Tatsache, dass die Nachfrage auf dem deutschen Binnenmarkt zwei Drittel des Bruttoinlandsproduktes ausmacht, erscheint diese Missachtung auf gefährliche Weise fahrlässig und kann nur durch eine absolute Ideologisierung der Debatte erklärt werden.
Diese Problematik ist besonders im Hinblick auf die Debatte um einen ausgeglichenen Staatshaushalt zu werten. Angeblich ist die Staatsquote in der BRD, die sich auf die Binnennachfrage direkt auswirkt, im internationalen Vergleich zu hoch. Doch liegt die deutsche Staatsquote mit 48 Prozent in 2003 im europäischen Mittelfeld, ein statistischer Zusammenhang zwischen Wachstum und Staatsquote ist nicht nachweisbar. Ein weiterer Grund für die ausbleibende Binnennachfrage ist die zurückhaltende Lohnpolitik. Nur eine Lohnpolitik, die sowohl Inflationsausgleich als auch Steigerung der Produktivität berücksichtigt, kann die Binnenkonjunktur ankurbeln und für nachhaltige Nachfrage und Arbeitsplätze sorgen.
Auffallend hoch sind in Deutschland die Lohnkosten. Es fällt aber auch auf, dass die Realeinkommen in den letzten Jahren nicht signifikant gestiegen sind. Ein erklärbarer Widerspruch: Nirgendwo ist die Sozialabgabenquote mit 18,5 Prozent so hoch wie in Deutschland. Relativ zum BIP liegt die Steuerquote mit 22,3 Prozent aber am unteren Ende der EU-Länder. Das zeigt die überdurchschnittliche Belastung eines Durchschnittsverdieners. Der Anteil der Unternehmen am Steueraufkommen hingegen hat sich seit 1970 von 31 auf 15 Prozent halbiert. Der Faktor Arbeit wird überproportional belastet.
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In den letzten Jahren sind die öffentlichen Finanzen auf Grund politisch verursachter Steuerausfälle immer tiefer in die Krise geraten. Die Steuerquote - der Anteil der Steuern am Bruttoinlandsprodukt - fiel von 1980 bis 2000 von 24 auf 23 Prozent, bis 2002 auf 21 Prozent. Läge die Steuerquote noch auf dem Stand des Jahres 2000, hätte der Staat jährlich etwa 50 Milliarden Euro höhere Einnahmen. Noch gravierender als der Rückgang der Steuerquote ist aber die erhebliche Entlastung der Vermögenden und Reichen. Der Anteil der Gewinn- und Vermögenssteuern hat sich in den Jahren 1977 bis 2002 von 29 auf 14 Prozent halbiert, derjenige der Lohnsteuer an den gesamten Steuereinnahmen ist von 30 auf 35 Prozent gestiegen. Der Anteil der Mehrwert- und Verbrauchsteuern stieg von 33 auf 44 Prozent.
Webseite der Grünen in NRW mit zwei verschiedenen PDF-Versionen
martin1969 - 5. Mai, 22:38